Experimentelle Studie am Menschen prüft Klischee

Neuro-Depesche 11/2016

Macht Alkohol aggressiv, Cannabis friedlich?

Der Alltagserfahrung nach kommt es unter Alkoholeinfluss häufiger zu aggressivem Verhalten und Gewalttätigkeit, während Cannabis-Konsumenten eher lethargisch sind und sich friedlich verhalten. Doch von diesem Klischee gibt es auch Ausnahmen. Niederländische und deutsche Psychopharmakologen und Toxikologen überprüften die Zusammenhänge nun in einer experimentellen Studie mit provozierter Aggression.

20 starke Alkoholkonsumenten (21–50 bzw. 15–35 Drinks/Woche bei Männern bzw. Frau - en), 21 regelmäßige Cannabiskomnsumenten (3- 10 Joints/Woche) und 20 drogenabstinente Kontrollen wurden für die Studie rekrutiert. Die 35 Männer und 26 Frauen waren zwischen 18 und 28 Jahre alt. Die Teilnehmer erhielten als Getränk eine Einzeldosis Alkohol in Fruchtsaft (kontrollierter Zielwert im Blut: 0,8 g/l) und Placebo oder per Verdampfer Cannabis (300 μg THC/kg KG) und ähnlich riechendes Placebo.
Die Aggression wurde vor und nach einer Aggressionsprovokation anhand des Point-subtraction aggression paradigm (PSAP) und des Single category implicit association test (SC-IAT) bestimmt.
Die subjektive Aggression wurde mit einer linearen 100mm-Visuel-Analog-Skala (VAS) erfasst. Als sekundäre Endpunkte wurden außerdem Veränderungen der Testosteron- und Kortisol- Werte im Blut bestimmt. Die Aggressionsprovokation war erfolgreich: Bei den nüchternen Teilnehmern aller drei Gruppen nahm die subjektive Aggression auf der VAS nach der Exposition signifikant zu (aber ohne wesentliche Unterschiede zwischen den Gruppen). Der Studienhypothese entsprechend erhöhte die Alkoholeinnahme in der Alkoholgruppe die subjektive Aggressivität der Probanden vs. Placebo, während sich diese nach der Cannabiseinnahme in der Cannabisgruppe deutlich verringerte.
Diese beiden Effekte erwiesen sich auch in der PSAP gegenüber der Placeboeinnahme als signifikant. Zudem korrelierten die PSAP-Testergebnisse mit den subjektiven Aggressionsempfindungen in der Alkohol- bzw. Cannabisgruppe signifikant (p = 0,011 bzw. p = 0,028). Im SC-IAT fanden sich dagegen keine Unterschiede zwischen Alkohol-, Cannabis- und Kontrollgruppe.
Eine Drei-Wege-Interaktion wies u. a. darauf hin, dass die Cannabis-Gabe die Testosteron- Werte nach der Aggressionsprovokation senkt, Alkohol aber nicht. HL

 

KOMMENTAR

Die hier untersuchten Akuteffekte bestätigen, dass Alkohol eher aggressiv und Cannabis eher friedlich stimmen. Mithilfe dieser Testanordnung ließe sich möglicherweise auf individueller Ebene herausfinden, wer unter Allkoholeinfluss zu Gewalttätigkeiten neigt. Die Rolle neuroendokriner Reaktionen sollte noch weiter erforscht werden.

Quelle:

Sep De Sousa Fernandes Perna EB et al.: Subjective aggression during alcohol and cannabis intoxication before and after aggression exposure. Psychopharmacology (Berl) 2016; 233(18): 3331-40

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