Längsschnittstudie bei Jugendlichen

Neuro-Depesche 12/2015

„Heavy drinking" stört die Hirnentwicklung – bei Jungen und bei Mädchen

Dass jeder Vollrausch Hirnzellen kostet, ist eine Volksweisheit. Kalifornische Psychiater fanden nun in einer Längsschnitt-MRT-Studie heraus, dass ein „Heavy drinking“ bei Jugendlichen die normale Hirnentwicklung beeinträchtigt und zu beträchtlichen morphologischen Veränderungen führt. Betroffen waren in verschiedenen Regionen und Strukturen sowohl die graue als auch die weiße Substanz.

Longitudinal untersucht wurden Volumenveränderungen der grauen Substanz (Gray matter, GM) und der weißen Substanz (White matter, WM) bei 134 Jugendlichen. Von ihnen hatten im Zeitraum von ungefähr 3,5 Jahre 75 Adoleszente ein „Heavy drinking“ entwickelt, definiert als ≥ 5 Drinks zu einer Gelegenheit in den letzten zwei Wochen nach Eigenangaben im Customary Drinking and Drug Use Record. Die übrigen 59 Jugendlichen blieben bei einem sehr geringen oder keinem Alkoholkonsum. Moderat trinkende Adoleszente waren von der Teilnahme ausgeschlossen.
Alle unterzogen sich im Alter zwischen 12 und 24 Jahren zwei bis sechs MRT-Aufnahmen und wurden insgesamt über acht Jahre nachbeobachtet. Ermittelt wurden Volumenveränderungen von Neokortex, Allokortex und diversen WM-Strukturen.
Gegenüber den kaum/nicht trinkenden Kontrollen zeigten die Jugendlichen mit „Heavy drinking” eine signifikant beschleunigte Verringerung der GM im Gesamt-Neokortex (p = 0,013), insbesondere in den frontalen (p = 0,019), lateral frontalen (p = 0,013) und temporalen (p = 0,001) Kortizes. Volumenveränderungen von Insula und Zingulum unterschieden sich zwischen den Gruppen dagegen nicht signifikant. Außerdem ergab sich bei Jugendlichen mit schwerem Trinken ein signifikant abgeschwächtes WM-Wachstum im Corpus callosum und der Pons.
Diese Veränderungen waren weitgehend unabhängig vom Konsum von Marihuana und anderen illegalen Drogen. Männliche und weibliche Jugendliche zeigten im Übrigen mit wenigen Ausnahmen (eine GM-Abnahme im Temporallappen war nur bei den Jungen signifikant, nicht bei den Mädchen) sehr ähnliche Muster der Hirnveränderungen. NW
Kommentar

Wöhrend der Adoleszenz spielen sich im Gehirn wichtige Reifungs- und Umstrukturierungsprozesse ab. Bedingt durch eine neuronale „Bereinigung“ kommt zu einer physiologischen Verringerung der grauen Substanz, und durch Myelinisierung und zunehmende Ausdehnung von Axonenen wächst die weiße Substanz. In dieser Studie wurden Hirnmorphometrie und Alkoholkonsum über längere Zeiträume und in einer größeren Gruppe von Adoleszenten als je zuvor untersucht. Die festgestellten alkoholbedingten Hirnveränderungen, die – zumindest teilweise – mit Befunden von chronisch Alkoholabhängigen übereinstimmen, sollten wachrütteln und angesichts der vielen „Koma-Trinker“ helfen, ein schweres Trinken bei Jugendlichen stärker in den präventiven und therapeutischen Fokus rücken.

Quelle:

Squeglia LM et al.: Brain development in heavydrinking adolescents. Am J Psychiatry 2015; 172(6): 531-42

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