Orale Migräne-Prävention

Neuro-Depesche 10/2017

Die Abbruchraten sind extrem hoch

Derzeit werden zur präventiven Migränebehandlung verschiedene orale Medikamente wie Betablocker, Antidepressiva und Antiepileptika eingesetzt, die sich nicht immer durch die beste Verträglichkeit auszeichnen. Anhand von US-Verschreibungsdaten wurde nun untersucht, wie viele Patienten mit chronischer Migräne diese Prophylaktika absetzen und wie viele auf ein anderes Medikament wechseln. Die Abbruchraten sind, wie den klinischen Efahrungen nach zu erwarten war, extrem hoch.

Die retrospektive Auswertung der Truven Health MarketScan® Databases umfasste 8707 überwiegend weibliche Erwachsene mit chronischer Migräne (CM; ≥ 15 Kopfschmerztage/ Monat). Das Durchschnittsalter betrug 42 Jahre, 58,8% waren vollzeitbeschäftigt. Die Komorbidität der Patienten, besonders an anderen Kopfschmerzen-Arten (54%), war hoch, u.a. waren 18% depressiv.
Die Patienten hatten von 2008 bis 2012 als initiale Präventivmedikation die trizyklischen Antidepressiva (TZA) Amitriptylin (n = 1059) und Nortriptylin (n = 601), die SSRI Citalopram (n = 992), Fluoxetin (n = 365), Paroxetin (n = 172) und Sertralin (n = 554), den SNRI Venlafaxin (n = 222), die Antiepileptika Gabapentin (n = 789), Topiramat (n = 2429) und Valproat (n = 259) sowie die Betablocker Atenolol (n = 166), Metoprolol (n = 347), Nadolol (n = 104) und Propranolol (n = 648) erhalten.
Die Persistenz mit dem ersten verschriebenen oralen Prophylaktikum lag nach sechs Monaten bei 25% und nach 12 Monaten nur noch bei 14%. Dabei war bereits ab dem 30. Tag ein steiler Abfall der Einnahme zu beobachten und am 60. Tag hatte bereits die Hälfte der CM-Patienten ihre Medikamente abgesetzt. Die größte Wahrscheinlichkeit für das Absetzen gegenüber Topiramat als meistverschriebener Substanz (Referenz) ergab sich für Gabapentin (Hazard Ratio: 1,44 nach sechs Monaten bzw. 1,41 nach 12 Monaten), Amitriptylin (HR: 1,24 bzw. 1,25) und Nortriptylin (HR: 1,18 bzw. 1,20). Für die übrigen Prophylaktika waren die Unterschiede gegenüber Topiramat nicht signifikant – Ausnahme Citalopram mit einer signifikant niedrigeren Absetzwahrscheinlichkeit nach sechs Monaten (HR: 0,88). Ein ganz ähnliches Muster ergab sich nach Ansetzen des zweiten und dritten oralen Prophylaktikums.
Unter den Patienten, die ihr initiales Medikament innerhalb der ersten 60 Tage absetzten, wechselten (nur) 23% auf ein anderes Prophylaktikum, während 41% die Therapie mit dem Medikament zwischen Tag 61 und Tag 365 wieder aufnahmen. Doch auch in diesen beiden Gruppen war die Persistenz sehr niedrig: Bei den Patienten mit Switch lag die Persistenz nach zwölf Monaten nur zwischen 10% und 13%, bei jenen mit Wiederaufnahme der Therapie nur zwischen 4% und 8%.
Es fanden sich zwar einige statistisch signifikante Unterschiede zwischen den persistenten und den nicht-persistenten sowie den switchenden und den nicht-switchenden Patienten (z. B. in der Rate an Berufstätigkeit und an einigen komorbiden Krankheiten), doch weder diesen noch anderen demographischen oder klinischen Merkmalen sprechen die Autoren eine maßgebliche Relevanz zu. JL
Kommentar

Diese US-Verschreibungsdaten bestätigen bisherige Studien, nach denen drei Viertel bis vier Fünftel der Patienten mit chronischer Migräne ihre prophylaktischen Medikamente innerhalb von sechs Monaten – und spätestens innerhalb eines Jahres – absetzen. Die Gründe dafür wurden nicht erfasst. Auch die Umstellung auf andere Prophylaktika führt meistens zu keiner dauerhaften Medikamenteneinnahme: Hier waren die ohnehin niedrigen Persistenzraten noch einmal halbiert. Da insgesamt mehr als 86% der CM-Patienten ihr erstes, zweites oder drittes Prophylaktikum in Jahresfrist absetzten und viele davon also unbehandelt blieben, ist es dringend notwendig, die präventive Behandlung zu verbessern.

Quelle:

Hepp Z et al.: Persistence and switching patterns of oral migraine prophylactic medications among patients with chronic migraine: A retrospective claims analysis. Cephalalgia 2017; 37(5): 470-85

ICD-Codes: G43.9

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