Chemiewaffenangriffe in Syrien

Neuro-Depesche 5-6/2017

Das Regime verhindert WHO-Antidot-Lieferung

Im The Lancet „World Report“ wurde über den Chemiewaffen-Einsatz im syrischen Khan Shaykhun/Idlib am 4. April berichtet. Wie WHO-Mitarbeiter jetzt schildern, haben die syrischen Behörden die Auslieferung von Gegengiften durch Hilfskonvois verhindert. Dies geschieht im Umfeld systematischer Angriffe auf medizinische Einrichtungen.

WHO-Angaben zufolge starben bei der Attacke auf ein Lager syrischer Rebellen am 4. April 89 Menschen, davon 33 Kinder. 541 wurden verletzt. Auch wenn sehr vieles darauf hindeutet, fehlt bei diesem und anderen Giftgas-Angriffen der schlagende Beweis, dass sie durch Syriens Regierungstruppen – und nicht durch die Rebellen bzw. den IS – ausgeführt wurden.
Einige Stunden nach der Attacke wurde mit dem Rahma Hospital in Darkush das letzte in der Region noch arbeitende Krankenhaus von Fassbomben getroffen, berichtet Tawfik Chamaa, Präsident der Schweizer Sektion der Union of Medical Care and Relief Organizations (UOSSM). Und zwei Tage zuvor war das Maarrat al-Nu‘man Hospital angegriffen und funktionsuntüchtig gemacht worden – das einzige Krankenhaus, das für die Behandlung von Giftgasopfern ausgestattet war, sagte Chamaa.
Das Land wird seit sechs Jahren von dem grausam geführten Bürgerkrieg erschüttert. Seit 2013 hat die WHO 665 Personen, Ärzte und Ersthelfer in der Notfallbehandlung von Chemiewaffen-Opfern geschult, berichtete Elizabeth Hoff, Damaskus, WHO-Repräsentantin in Syrien. 2016 und 2017 lieferte die WHO Chemiewaffen- Gegengifte, darunter 134 000 Ampullen mit Atropinsulfat an 77 Orte, auch in neun schwer erreichbare Regionen wie Idlib und Hama. Außerdem erfolgten, wie der Repräsentant der WHO in der Türkei Dr. Pavel Ursu, Gaziantep, berichtete, Notsendungen von Pralidoxim und anderem medizinischen Bedarf, die für die Behandlung von Chemiewaffen- Opfern gebraucht werden, aus der Türkei nach Idlib. Dies hat die syrische Regierung zu verhindern versucht: 2016 wurde aus 12 internationalen Hilfskonvois u. a. das Atropin entfernt, schilderte Hoff. Schon 2017 erreichten neun der 40 Tonnen medizinisches Material aus neun (von elf ) Konvois ihr Ziel nicht. Alle Proteste haben an diesem perfiden Vorgehen bislang nichts geändert. JL
Kommentar

Laut UN-Regionalkoordinator Kevin Kennedy wurden 2016 in Syrien nicht weniger als 338 Angriffe auf medizinische Einrichtungen gezählt – und im ersten Vierteljahr 2017 nach WHO-Angaben schon 30. Der Organisation für das Verbot chemischer Waffen zufolge wurden diese sowohl von Syrien als auch vom „Islamischen Staat“ eingesetzt. Die UN Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic hat zwischen März 2013 und Januar 2017 25 Chemiewaffenangriffe dokumentiert, von denen 19 mutmaßlich durch syrische Truppen erfolgten, einschließlich des belegten Sarin-Angriffs in Ghouta am 21. August 2013 mit 1400 Toten. Syrien bestreitet.

Quelle:

Zarocostas J: Syria chemical attacks: preparing for the unconscionable. Lancet 2017; 389(10078): 1501 [Epub 15. April; doi: 10.1016/S0140-6736(17)30997-2]

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