Systematische Übersicht und Metaanalyse

Neuro-Depesche 10/2017

ADHS-Schwere und Internet-Abhängigkeit

Zertifizierte Fortbildung

Dass Kinder mit einer ADHS ausgesprochen internetaffin sind, ist eine wiederkehrende Erfahrung. Jetzt wurde die Beziehung zwischen ADHS und einer Internet-Abhängigkeit in einer systematischen Übersicht und Metaanalyse untersucht.

Die Literaturrecherche ergab zwei Kohorten- und 13 Querschnittsstudien (2004–2016), die quantitativ bzw. metaanalytisch ausgewertet werden konnten.
Die ADHS-Prävalenz bei den Teilnehmern mit einer Internet-Abhängigkeit (IA) rangierte zwischen 19,5% und 42,5%, in den Kontrollgruppen aber nur zwischen 4,6% und 15,2%.
Insgesamt fand sich eine moderate Assoziation: Unadjustiert bestand eine signifikante Korrelation zwischen IA und ADHS (Odds Ratio: 3,76; 95%-KI: 2,75– 5,15), allerdings war die Heterogenität zwischen den Studien hoch (I2 = 68%). Nach Kontrolle auf mögliche Einflussfaktoren wiesen Personen mit einer IA eine um das Zweieinhalbfache größere Wahrscheinlichkeit für eine ADHS-Diagnose auf (gepoolte adjustierte OR: 2,51; 95%-KI: 2,09–3,02). Hier war die Heterogenität zwischen den Studien niedrig (I2 = 8%).
Nach verschiedenen ADHS-Skalen (ausgedrückt als Standardized mean difference, SMD) zeigten Internet-Abhängige die deutlich schwereren ADHS-Symptome. Dies betraf sowohl den kombinierten Summenscore (SMD: 1,15; p < 0,00001) als auch die Schwere des Aufmerksamkeitsdef izits (SMD: 0,84; p = 0,002) und der Hyperaktivität/Impulsivität (SMD: 0,85; p = 0,0007). Für den Gesamtscore und die Hyperaktivität/ Impulsivität war dies auch der Fall, wenn alle Studien mit hohem Verzerrungsrisiko aus der Metaanalyse ausgeschlossen wurden.
Mit der IA in signifikantem Zusammenhang stand männliches Geschlecht, während das Alter (< 18/≥ 18 Jahre) mit der ADHS-Wahrscheinlichkeit nicht signifikant korrelierte. JL
Kommentar

Biopsychosozialen Modellen zufolge könnten die häufigere Langeweile und die negative Reaktion auf eine verzögerte Belohnungskontrolle von ADHS-Patienten zum übermäßigen Internetkonsum beitragen, der durch die mangelhafte Impulskontrolle noch gefördert wird. Daher sollten „internetaffine“ Jugendliche und junge Erwachsene aufmerksam auf ADHS-Symptome beobachtet werden. Umgekehrt sollten, so die Autoren, die Internetaktivitäten von ADHS-Patienten stärker überwacht werden. Allerdings bedarf es Langzeitstudien, um die Zusammenhänge (und den Nutzen etwaiger Gegenmaßnahmen) zu belegen.



Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle:

Wang BQ et al.: The association between attention deficit/ hyperactivity disorder and internet addiction: a systematic review and meta-analysis. BMC Psychiatry 2017; 17(1): 260 [Epub: 19. Juli; doi: 10.1186/s12888- 017-1408-x]

ICD-Codes: F90.

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